獨遊
Wang Changling 王昌齡 (698–ca. 756)
林臥情每閒,獨遊景常晏。 時從灞陵下,垂釣往南澗。 手攜雙鯉魚,目送千里雁。 悟彼飛有適,知此罹憂患。 放之清冷泉,因得省疏慢。 永懷青岑客,迴首白雲間。 神超物無違,豈繫名與宦。
Beim Fischfang Hans Bethge (1876–1946)
— in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 68f.
Oft liege ich im Schatten hoher Bäume, Von Träumen und Gedanken heimgesucht, Oft schreite ich auf einsam stillen Pfaden Und spüre nichts von Tag und nichts von Nacht. So stieg ich neulich in ein blühend Tal Und wandelte am Uferrand des Flusses, Ich legte meine Angeln in das Wasser, Zwei schöne Karpfen zog ich bald heraus. Mein Auge aber ging dem Fluge nach Der wilden Gänse, die ins Blau entschwebten, Ich fühlte tief die Lust an ihrer Freiheit Und fühlte der gefangnen Fische Qual. Die Fische ließ ich in das Wasser gleiten, Und traurig sann ich der Begehrlichkeit Der Menschen nach. Dann dacht ich an die Berge Und an die Menschen auf den lichten Höhn. Sie wissen, wenn sie in die Tiefe blicken, Durch Wolken von der Erde sich geschieden, Auf ihren blauen, ätherklaren Gipfeln Verachten sie die Leidenschaft der Welt. Sie lieben nicht den Ruhm und nicht die Ehre, Ihr Sinn ist durch Begierden nicht zerfressen, Sie kennen nur den Frieden ihrer Seele, — Ich sehne mich, in ihrer Welt zu sein.
Lieg' oft in hoher Bäume Schatten Conrad Haußmann (1857–1922)
— in: Haußmann, Conrad. "Im Tau der Orchideen" und andere chinesische Lieder aus drei Jahrtausenden. München: Albert Langen, Verlag für Literatur und Kunst, 1908. p. 35f.
Lieg' oft in hoher Bäume Schatten Und hab' vergessen Tag und Nacht, Geh' oft des Wegs durch stille Matten Und habe vor mich hingedacht. So warf am Palin-Fluß auch heute Ich meine Angel still nach Beute. Zwei Karpfen hielt ich schon in Händen, Da, weil ein Ton ans Ohr mir schlug, Mußt' ich den Blick zum Äther wenden Nach einer Wildgans freiem Flug: Des Vogels Glück, der Fische Bangen – Mir ist die Freiheit aufgegangen! Ich ließ zum Fluß die Fische gleiten Und ich verstand mit einem Mal Den Unwert der Begehrlichkeiten, Und dacht' – der Älpler ob dem Tal, Die von den niedrigen Gebieten Durch eine Wolkenwand geschieden. Auf ihren freien Höhen haften Die Dünste nicht der flachen Welt, Begierden nicht und Leidenschaften, Noch was das Tal in Fesseln hält: Nicht Neid, nicht Ruhm, nicht Ehre stehlen Den schönen Frieden ihrer Seelen.
Die beiden Karpfen Hans Heilmann (1859–1930)
— in: Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik vom 12. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gegenwart, Die Fruchtschale. München, Leipzig: R. Piper & Co., 1905. p. 21f.
— in: Hamm, Peter. Welches Tier gehört zu dir? Eine poetische Arche Noah. München; Wien: Carl Hanser Verlag, 1984. p. 338.
Oft lagere ich im Schatten hoher Bäume, sinnend, träumend, Oft wandere ich einsamen Pfad und vergesse Tag und Nacht. So stieg ich eines Tages hinab ins Pa-lin-Tal. Ich ging am Ufer des Flusses hin und warf meine Angeln aus. Meine Hand ergriff zwei Karpfen; Aber meine Augen folgten dem Flug zweier Wildgänse in blaue Fernen. Da empfand ich die Lust der Vögel an ihrer Freiheit Und die qualvolle Angst meiner beiden Gefangenen. Ich ließ die Fische in das klare Wasser fallen Und in tiefes Nachdenken versinkend begriff ich die Begehrlichkeit. Ich dachte an die Gebirge, an die Bewohner ihrer blauen Gipfel, die, wenn sie ihre Blicke talwärts lenken, durch graue Wolken sich von der Welt geschieden sehn. Auf diesen Höhen verachten sie die Leidenschaft der Erde; Die kennen nicht ihre Begierden, die Ehre und der Ruhm trüben nicht den Frieden ihrer Seele.